"Durch Sport sind Schüler fitter im Kopf"

Geschrieben von Richard Glöckle.

Im DFB.de-Interview mit Redakteur Norman Arnold plädiert Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzerr für mehr Sportunterricht in der Schule und erklärt, wie man im Wald sitzend Stress abbaut und warum Fußball für das Training des Gehirns optimal ist.

DFB.de: Herr Spitzer, dass Sport gut für die motorische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist, ist keine Überraschung. Welche positiven Auswirkungen kann das Sporttreiben zusätzlich haben?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Nun, da gibt es eine ganze Reihe von Auswirkungen. Ganz akut ist zum Beispiel die gesteigerte Aufmerksamkeitsleistung. Menschen können sich besser konzentrieren, wenn

sie Sport getrieben haben. Bei Erwachsenen ist auch nachgewiesen, dass durch den Sport Nervenzellen nachwachsen, die stressbedingt abgestorben sind. Er beugt also der Demenz vor. Ein weiterer Punkt: Wenn sie sich vornehmen, eine halbe Stunde Fußball zu spielen oder auf einen Baum zu klettern, setzen Sie sich ein Ziel im Kopf und setzen es dann körperlich um. Sport stärkt also die exekutiven Funktionen, früher hätte man Willenskraft dazu gesagt.

DFB.de: Beeindruckend! Sport stärkt also nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Kommt es oft vor, dass Sie mit Vorurteilen aufräumen müssen und mit ihren Forschungsergebnissen überraschen?

Spitzer: In der Tat, viel zu oft wird noch diese Dichotomie hergestellt vom muskelbepacktem Kraftprotz auf der einen und dem intellektuellen Brillenträger auf der anderen Seite. Dabei sagt schon das uralte Diktum vom gesunden Geist, der im gesunden Körper lebt, dass beides einander bedingt.

DFB.de: Sie sind Hirnforscher, Psychiater, Psychologe. Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Forschung?

Spitzer: Aufgrund der Breite meiner Ausbildung interessieren mich schon immer die interdisziplinären Dinge, Erkenntnisse, die man aus der Kombination verschiedener Fachbereiche gewinnt.

DFB.de: Und wie kommen Sie zu Ihren Ergebnissen? Messen Sie Hirnströme, befragen Sie Probanden, beobachten deren Verhalten?

Spitzer: In erster Linie beschäftigen wir uns mit der Bildgebung der neuronalen Aktivität im Gehirn. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Infrarotlicht, elektrische Aktivität, Magnetfelder (MRT, Anm.d.Red.). Diese Bilder versuchen wir dann mit praktischen Fragestellungen zu verknüpfen. Wir waren zum Beispiel die ersten, die nachweisen konnten, dass Joggen an der anaeroben Schwelle nicht nur bei älteren, sondern auch bei depressiven Menschen hilft.

DFB.de: Joggen gegen Depression?

Spitzer: Ja! Eine Mitarbeiterin aus meinem Team hat dazu ihre Doktorarbeit gemacht. Natürlich darf man die Patienten nicht einfach in den Wald schicken und loslaufen lassen, sondern muss das Sporttreiben kontrollieren. Durch Laktattests haben wir die anaerobe Schwelle der Patienten ermittelt und ihnen dann die feste Vorgabe gegeben, eine halbe Stunde bei einer Belastung von 60 bis 80 Prozent zu laufen. Wenn die Patienten das durchhalten, haben sie ein Erfolgserlebnis. Zuvor war schon nachgewiesen worden, dass dadurch Vorstufen des Glückshormons Serotonin im Gehirn ankommen.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: "Fußball ist das Nonplusultra für das Gehirn"

DFB.de: Auch für Schüler ist Bewegung wichtig. Kann man sagen: Wer viel Sport treibt, wird ein besserer Schüler?

Spitzer: Ja. Wenn eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern vor oder in der ersten Stunde um die Schule rennen, werden Sie in der Schule besser, sogar in den Fächern, die durch den Sport ausfallen. Der Sport bewirkte, dass sie einfach fitter im Kopf waren. Früher fuhr man mit dem Fahrrad zur Schule oder lief und hatte dadurch seine körperliche Ertüchtigung vor dem Unterricht. Leider hat sich das heutzutage weitgehend geändert.

DFB.de: Sie spielen auf das Thema Ihres Buches „Digitale Demenz“ an. Was passiert, wenn Kinder zu wenig Sport treiben?

Spitzer: Früher war Stubenarrest die größte Strafe, die man einem Kind geben konnte. Heute gehen sie freiwillig gar nicht mehr raus. Die Lebensgewohnheiten haben sich deutlich geändert. Dabei hat das Spielen im Freien nachweislich so viele positive Effekte. Die Bewegung und das Naturerleben bauen Stress ab, die Kreativität wird gefördert, die Aufmerksamkeit steigt.

DFB.de: Man kann allein dadurch, dass man an der frischen Luft ist, Stress abbauen?

Spitzer: Die Japaner nennen es Waldtherapie. Die Effekte sind nachgewiesen. Man hat einerseits getestet, wie die Unterschiede zwischen Menschen sind, die in abgeschlossenen Räumen sitzen oder sich im Freien bewegen. Interessant war, dass man Probanden auch drinnen Sport treiben ließ und draußen im Rollstuhl umhergefahren hat – sie also ohne eigene körperliche Bewegung an der frischen Luft waren. Das Ergebnis war, dass eine Kombination aus Bewegung und Naturerleben die Kreativität am meisten fördert.

DFB.de: Also ist Fußball besonders gut geeignet?

Spitzer: Wenn ein Sportler ausschließlich auf dem Laufband trainiert, hat er eine monotone Bewegung. Wenn er im Wald läuft, muss er sich auf Wurzeln und Steine einstellen und jede Bewegung neu programmieren. Im Fußball kommen noch komplexere Aufgaben hinzu. Man muss sich immer wieder auf neue Situationen anpassen, Angriffe planen, eine taktische Strategie umsetzen. Solch eine komplexe geistige Leistung beim Sporttreiben ist das Nonplusultra – super für das Gehirn!

DFB.de: Auf dem 3. DFB-Kongress für Schule, Verein und Verband referieren Sie zum Thema Sport in Schule in Verein. Wie bewerten Sie den Sportunterricht in Deutschland?

Spitzer: Da kann ich relativ deutlich sagen: Freitags von halb drei bis um vier ein bisschen Sportunterricht bringt nichts. Schön wäre, wenn die Kinder und Jugendlichen täglich eine Dreiviertelstunde Sport machen.

DFB.de: Also sollten Schulfächer wie Musik, Kunst und Sport wichtiger angesehen werden als zum Beispiel Mathematik, Deutsch und Geografie?

Spitzer: Ich kenne durchaus renommierte Pädagogen, die den Sportunterricht komplett streichen wollen. Schlimmer geht’s nicht! Menschen sind und bleiben Körperwesen. Ein rein technischer Download an Informationen funktioniert beim Menschen nicht. Die Informationen müssen als Wissen im Kopf vorhanden sein. Dieses Wissen kommt nur in hellen Köpfen an und Köpfe sind dann hell, wenn der Körper sich bewegt.

Quelle: http://www.dfb.de/news/detail/hirnforscher-spitzer-durch-sport-sind-schueler-fitter-im-kopf-143538/